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Die ausdrucksstarken Porträtfotografien von Loredana Nemes zeugen von einem tiefen Interesse am Menschlichen. Mit aufrichtiger Neugierde und Anteilnahme begegnet sie Personen, lernt ihre Identität und Geschichte kennen, fragt nach ihren Interessen, Erfahrungen und Wünschen. Die Kamera dokumentiert eine Suche nach Spuren, die politische und soziale Umstände im Leben der Menschen hinterlassen haben. Sie bietet Zugang zu einer Realität, die manchmal nicht leicht zu ertragen ist, und hält zugleich respektvolle Distanz.
In der Serie »beyond« (2008–2010) fotografierte Nemes die Außenfassaden türkischer und arabischer Kaffeehäuser in den Stadtteilen Kreuzberg, Neukölln und Wedding in ihrer Wahlheimat Berlin. Frauen ist der Zutritt zu diesen Zirkeln traditionell verwehrt. Es sind heimliche Wohnzimmer, in denen Männer vor ihren alltäglichen Sorgen fliehen. Entsprechend hielt auch Nemes von ihren Motiven Abstand. Mit ihrer Linhof-Plattenkamera nahm sie die Schaufenster von der gegenüberliegenden Straßenseite bei Nacht auf. Wie es drinnen aussieht, bleibt für neugierige Blicke, die durch trübe Milchglasscheiben und Vorhänge abgehalten werden, ein Geheimnis: Hinter dem hell erleuchteten Schaufenster des »Oriental Temple« in Kreuzberg erscheinen die Schatten aufgereihter Shisha-Pfeifen anstelle der Besucher. Nach Nemes sind die Schaufenster Membranen zwischen zwei Welten, die Ausschluss und Einschluss zugleich bedeuten. Sie dokumentieren das Moment einer unüberwindbaren Fremdheit. Durch ihre persönliche Migration von Rumänien in den Iran und dann in die Bundesrepublik hat die Künstlerin diese Fremdheit selbst erlebt.
Die männlichen Besucher der Cafés porträtiert Nemes in einer gesonderten Serie. Dazu fotografierte sie die Gesichter der Männer durch die ornamentierten Vorhänge und Glasscheiben hindurch. Die Gesichtszüge erscheinen schemenhaft und doch individuell, während die Muster der Begrenzungen gestochen scharf wirken. Nemes kehrt dadurch die kulturelle Tradition der Verschleierung, die traditionell Frauen vorbehalten ist, um. Zugleich bietet die Unschärfe nach Nemes einen Freiraum zur Identifikation, eine Leerstelle, durch die der Betrachter ins Bild einsteigen kann.
Mit der Leerstelle spielt Nemes auch in ihrer Serie »Blütezeit« (2012). Dafür fotografierte sie kleine Cliquen von Jugendlichen aus Ludwigsburg in einer selbstgewählten Pose. Anstelle einer Gruppenaufnahme porträtierte sie jeden Einzelnen der Gruppe rasch nacheinander. Wieder zusammengesetzt, ergeben die Aufnahmen eindrückliche Tableaus. Durch kleine Verschiebungen, Gesten und Blicke erzählen sie Geschichten von den Beziehungen der Teilnehmer, von den Momenten ihres Zusammenseins, während jeder Einzelne nach seiner eigenen Identität sucht. Auf den Gesichtern ist die Fragilität, Frechheit und Melancholie der Jugendlichen zu erkennen, gepaart mit einem kleinen Funken Neugier. Eindrucksvoll schildert »Blütezeit« den Wandlungsprozess der Adoleszenz, in der sich Identität und Persönlichkeit herausbilden.
Die Porträtserie »Nadelstreifen« (2015–2016) erarbeitete Loredana Nemes mit Mitarbeitern der DZ BANK. Als spontane Idee ließ sie die Banker ihre Anzugjacke von innen nach außen kehren, sodass das sonst verborgene Innenfutter sichtbar wurde. In der neutralen Geschäftswelt fungiert das Sakko als Identitätsmerkmal und als Symbol der Macht, an dem sich der Status des Trägers ausmachen lässt. Durch ihre Idee ermöglichte Nemes eine andere Sicht auf den Anzug im Alltag: Sie funktionierte das Kleidungsstück in ein phantasievolles Accessoire um, drehte es zu Kopf-bedeckungen oder legte es den Trägern umgekehrt an. Auch Accessoires, die die Mitarbeiter selbst mitbrachten, wie Motorradhandschuhe oder einen Trooper-Helm aus der bekannten Star Wars-Filmreihe, baute Nemes in ihre Kompositionen ein. Die Ergebnisse erinnern an Science-Fiction-Helden oder an kunsthistorische Porträts aus dem 19. Jahrhundert. Zu Verschleierungen umfunktioniert, lassen manche Sakkos die Gesichter der Porträtierten weiblich erscheinen. Für die Serie fotografierte Nemes mit einer analogen Mittelformatkamera, die ein besonders langsames Arbeiten erfordert. Auf den Gesichtszügen den Porträtierten ist die Konzentration abzulesen, mit der sie den langwierigen Arbeitsprozess geduldig und mit großer Offenheit begleiteten.
Loredana Nemes wurde 1972 in Sibiu, Rumänien geboren. Sie lebt und arbeitet in Berlin.