Timm Rautert, Viva and Family, New York, 1971, aus der Serie: New York, 1971

Wir sind die Anderen

16. August bis 27. Oktober 2012

Das Gruppenportrait hat seine Anfänge im 15. Jahrhundert. Hier jedoch noch nicht als eigenständiges Genre, sondern als Stiftergruppe auf Altären oder Bildern, die für religiöse Zwecke verwendet wurden. Je selbstbewusster der Bürger wurde, desto größer stellte er sich zur Schau.

Das erste Gruppenbild, das Menschen zusammenführte, die »[…] zur Durchführung bestimmter irdischer Zwecke temporär vereinigt waren«, (Alois Riegl, Das holländische Gruppenportrait, Wien 1931, S. 8) ist in Holland um das Jahr 1500 entstanden.

Somit sprechen wir von einer Zeit des Aufbruchs in eine bürgerliche Gesellschaft, was zur Folge hatte, dass das menschliche Abbild an Bedeutung gewann. Es wurde Ausdruck einer immer wichtiger werdenden Individualität, die meist dem Geld und der Macht geschuldet war, die viele Bürger Hollands durch Handel erreicht hatten. Selbstbewusst und befreit von der Angst vor der Bewertung durch die kirchliche Obrigkeit, hat der Mensch zu mehr Selbstwertgefühl gefunden.

Das Individuum gewinnt an Einfluss und glaubt immer mehr, dass es sein Schicksal selbst in die Hand nehmen kann und nicht von Gottes Gnaden abhängig ist. So ist die Darstellung von realen Personen nicht mehr nur als das Seelische zu verstehen, sondern als individueller Körper und Ausdruck einer selbst geschaffenen Stellung in der Gesellschaft.
Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf einen Satz von Arthur Rimbaud, der fast 400 Jahre nach dem ersten Gruppenportrait der Feder des jungen Franzosen entfloss und damit die Moderne einläutete. »Ich ist ein anderer«, schrieb der junge Dichter 1871 und stellte radikal das Subjekt in Frage. Wir stehen am Beginn der klassischen Moderne. Der Impressionismus macht Furore mit Bildern, deren Farbe und Form der subjektiven Wahrnehmung geschuldet sind.

Kurz danach kam Sigmund Freud und legte das Ich auf die Couch, um es zu analysieren, um das Problemhafte zu untersuchen, und doch nie ans Ende zu kommen.
Das Ich ist viel: das, was ich selbst wahrnehme, aber auch das, was andere wahrnehmen, und immer auch die Flucht aus den Erwartungen und die Sehnsucht danach, jemand anderes zu sein. Ein erfolgreicher Bänker oder ein Bohemien, ein kluger Autor oder ein Erfinder, ein Wissenschaftler, der ein wichtiges Teilchen entdeckt, oder eine Mutter, die ihre Kinder liebt und vielleicht Gutes zu tun im Stande ist. Oder einfach nur glücklich. Auf jeden Fall nicht sein, wer man ist. Vielleicht macht diese Bewegung ja auch das Streben des Menschen aus und führt unser Ich in die Entwicklung.

Heute schickt sich die Hirnforschung an, die neue Leitdisziplin in der Wissenschaft vom Menschen zu werden. Auch mit ihr geht die Versuchung einher, das Ich zu entsorgen. Das Subjekt, hören wir dann, sei nur Resultat neuronaler Prozesse, es gebe keine Willensfreiheit. Alles, was der Mensch tut, sei schon in den Synapsen determiniert, ehe es getan wird. Das Ich sei eine Illusion.

Vor diesem Hintergrund ist die heutige Sehnsucht nach dem Authentischen, nach Menschen, die Bodenhaftung und Eigentümlichkeit verbinden, kein Zufall, und so rebelliert das Ich gegen seine Zurichtung im Käfig der Theorien.

 

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